Testfeld Niedersachsen: Neue Dynamik für das automatisierte Fahren in Level 4

Fahrer am Steuer eines Forschungsfahrzeugs
Lennart Asbach vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist für das Testfeld Niedersachsen für automatisierte und vernetzte Mobilität verantwortlich.

In Zukunft sind wir nicht mehr Fahrer, sondern Passagier. Autonom werden unsere Autos durch den Verkehr navigieren – vernetzt mit anderen Fahrzeugen und Infrastruktur wie Ampeln, Parkplätzen und Kameras. In Braunschweig arbeiten Ingenieurinnen und Ingenieure daran, der Mobilität der Zukunft einen großen Schritt näherzukommen. „In Zusammenarbeit mit Industriepartnern liefern wir einen wesentlichen Baustein dafür, dass automatisierte Fahrzeuge auf die Straße kommen“, sagt Lennart Asbach, der die Abteilung Verifikation und Validierung am Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) leitet.

Karte des Testfelds zwischen Hannover - Braunschweig, Wolfsburg und Hildesheim
280 Streckenkilometer beträgt der Umfang des Testfelds Niedersachsen, darunter Abschnitte der Autobahnen A2, A7, A39 und A391.

280 Streckenkilometer für automatisierte und vernetzte Mobilität
Am DLR ist Lennart Asbach für ein faszinierendes Projekt verantwortlich: das Testfeld Niedersachsen für automatisierte und vernetzte Mobilität. Hierbei geht es darum, Systeme automatisierter Fahrzeuge zu entwickeln und im realen Straßenverkehr in verschiedenen Verkehrssituationen zu erproben. Dazu stehen 280 Streckenkilometer zur Verfügung, darunter Abschnitte der Autobahnen A2, A7, A39 und A391 sowie Teile von Bundes-, Landstraßen und der Braunschweiger Innenstadt.
Entlang der Strecke ist das Testfeld mit hochpräziser Erfassungs-, Kommunikations- und Signaltechnik versehen, um Fahrzeuge und Umgebungsobjekte lokalisieren sowie große Datenmengen über Mobilfunk und WLAN austauschen zu können. Lennart Asbach betont: „Ein Testfeld in dieser Form mit einer solchen Größe, Ausstattung und Funktionalität gibt es kein zweites Mal.“ Das Testfeld wird durch einen Beirat begleitet, der unter anderem aus Industrievertretern von Volkswagen, Continental, Siemens und IAV besteht.

Autobahn A39 bei Nacht, Langzeitbelichtung
Um den Verkehr zu beobachten und Daten zu sammeln, ist das Testfeld mit Erfassungs-, Kommunikations- und Signaltechnik ausgestattet.

Level-4-Fahrzeuge aus der Forschung in den Verkehr
Wann werden wir autonome Fahrzeuge auf der Straße erleben? Diese Frage ist in aller Munde. Fakt ist, dass die unterschiedlichen Stufen von Automatisierung (Level 1 bis 5) Schritt für Schritt erklommen werden. Teilautomatisierte Systeme wie Einparkhilfen und Spurhalter sind in Autos gang und gäbe. Derzeit stehen wir an der Schwelle zu Level 3, wobei die Forscher aus Braunschweig längst die nächsthöhere Automationsstufe ins Auge gefasst haben. Mit dem Testfeld Niedersachsen im Rücken wollen sie zu den Ersten gehören, die autonome Level-4-Fahrzeuge aus der Forschung in den Alltag holen.
Level 4 bedeutet, dass in bestimmten Bereichen der Fahrer das Lenkrad aus der Hand geben und das Fahrzeug komplett autonom fahren kann. Da trifft es sich gut, dass in Deutschland jüngst die Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung – kurz: AFGBV – Gesetzeskraft erlangt hat. Zum ersten Mal können im Zusammenwirken von Straßenverkehrsgesetz und AFGBV autonome Fahrzeuge nach Level 4 im Straßenverkehr zum Einsatz kommen.

Neue Möglichkeiten zur Zulassung automatisierter Fahrzeuge
Neben den Vorgaben an die technische Ausstattung der Autos regelt das Gesetz auch das Verfahren ihrer Zulassung – und hier kommt das Braunschweiger DLR-Forschungsteam ins Spiel. „Wir können diesen Zulassungsprozess einzigartig durchführen“, sagt Lennart Asbach, „insbesondere im Hinblick darauf, wie die Infrastruktur aussehen und sich im Zusammenspiel mit den Fahrzeugen verhalten muss.“
Größtenteils werden Systeme automatisierter Fahrzeuge durch Simulation am Rechner getestet. Mit dem Testfeld Niedersachsen verfügt das DLR über außergewöhnliche Möglichkeiten, um mithilfe der Erfassungstechnik den Realverkehr zu beobachten und daraus ein detailliertes Ebenbild zu schaffen. „In einigen Abschnitten steht uns das Testfeld auch als 3D-Simulationsmodell zur Verfügung“, sagt der 39-Jährige. Diese digitale Nachbildung erweist sich als ideales Terrain, um automatisierten Fahrzeugsystemen Verkehrsaufgaben zu stellen und von ihnen bewältigen zu lassen.

Simulationsmodell des DLR von einer Straße
Abschnittsweise gibt es das Testfeld auch als 3D-Simulationsmodell, um automatisierten Fahrzeugsystemen Verkehrsaufgaben zu stellen.

Simulationsmodell des DLR bildet den Straßenverkehr dynamisch ab
Auf welche Art und Weise reagieren und bewegen sich Fußgänger, wenn sich ihnen automatisierte Fahrzeuge nähern? Wie sehen Gestik und Mimik aus? „Mit unseren Testfahrzeugen fahren wir in der Realität viele solcher Manöver. Die Kameras nehmen alles auf. Im Anschluss übertragen wir die Daten in unser Simulationsmodell. Wir versuchen, die Wahrheit auf der Straße herauszufinden und abzubilden.“ Wie beim Urmeter entsteht ein Maß aller Dinge, ein verlässliches Referenzobjekt. Wobei die Simulation viel mehr, besser und gestalterischer als eine Kopie der Wirklichkeit ist. „Das Modell bringt eine eigene Logik mit sich und gibt uns die Möglichkeit, die Realität dynamisch nachzubilden.“
Lennart Asbach ist Ingenieur, studiert hat er Mechatronik. Um Forschungsanlagen zu planen und zu verwirklichen, ist am DLR im Allgemeinen und am Institut für Verkehrssystemtechnik im Besonderen viel ingenieurtechnisches Wissen gefordert. Allein am Institut sind rund 250 Mitarbeiter beschäftigt, davon 180 Wissenschaftler. Neue Technologien, neues Denken, neues Wissen: Wer das Testfeld Niedersachsen für automatisierte und vernetzte Mobilität gestaltet, erlebt die Faszination Forschung hautnah.
Auch Lennart Asbach bekommt diese besondere Anziehungskraft zu spüren. „Das Testfeld“, sagt er, „ist ein bisschen Rocket Science.“ Und gibt der Entwicklung des automatisierten Fahrens kräftig Antrieb. „Es versetzt uns in die Lage, automatisiertes Fahren im nennenswerten Umfang auf die Straße zu bringen.“

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