Systemleichtbau für die Luftfahrt – eine Lehrstunde der Extraklasse

Energieeinsparungspotenzial am Verkehrsflugzeug gegenüber dem Stand der Technik liegt bei über 50 Prozent
Determinanten für Energieeinsparungen beim Verkehrsflugzeug

Luftfahrt der Zukunft widmet sich seit 2011 in Vorträgen und Exkursionen den Entwicklungen im Bereich der Luftfahrt sowie neuesten Anwendungen und Lösungen der Luftfahrtforschung. Die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das Niedersächsische Forschungszentrum für Luftfahrt (NFL) und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) präsentieren renommierte Expertinnen und Experten, die den heutigen Stand von Forschung und Technik erläutern. Das populärwissenschaftliche Format hat eine hohe Reichweite in technikaffinen Kreisen aller Altersgruppen. Für den ingenieurwissenschaftlichen Nachwuchs ist sie als verlässlicher Kompass in der beruflichen Entwicklung besonders attraktiv.

Ein äußerst wichtiges Gebiet – nicht nur auf dem weiten Feld der Luftfahrt – ist das Thema Effizienz und Klimaverträglichkeit, was letztendlich darin mündet, Gewicht und aerodynamischen Widerstand zu reduzieren, um Kraftstoffverbrauch und daraus resultierende Emissionen zu verringern. Ansätze dazu kommen aus unterschiedlichen Forschungsgebieten, wie z.B. der Aerodynamik, dem Leichtbau, den Systemen, den Triebwerken und der Flugführung. Inwieweit kann es gelingen, den Luftverkehr zu 100 % emissionsfrei und kompromisslos klimaneutral zu gestalten? Können hybrid-elektrisch angetriebene Flugzeuge mit Wasserstoff-Brennstoffzellen einen Beitrag zum klimaneutralen Fliegen liefern? Ein sehr hoher Beitrag zur Verringerung des Treibstoffverbrauches kann auch durch regulatorische Maßnahmen erreicht werden, z.B. durch effizient gestaltete Flugsicherungskonzepte. Im Projekt „Remote Tower Center“ laufen Sensordaten von mehreren Flughäfen zusammen, Fluglotsen beobachten also nicht mehr die Situationen am Ort des Geschehens, sondern kontrollieren die Flugaktivitäten an mehreren Flughäfen technikunterstützt in einem Büro ohne direkten Sichtkontakt.

Ein vielfältig strukturiertes Angebot an Vorträgen, ergänzt durch einige Exkursionen, bietet technisch Interessierten, Ingenieuren und solchen, die es werden wollen hochwertige intellektuelle Anreize:

Luftfahrt der Zukunft

Strukturen für die hybride Laminarhaltung am Höhenleitwerk
Strukturen für die hybride Laminarhaltung am Höhenleitwerk

Eröffnet wurde der Zyklus 2023 durch den viel beachteten Vortrag von Prof. Dr. Martin Wiedemann mit dem Thema „Systemleichtbau für die Luftfahrt“. Systemleichtbau ist ein Ansatz im Bereich der Luftfahrt, bei dem Gewichtseinsparungen kombiniert mit Funktionsintegration angestrebt werden, um die Effizienz und Leistung von Flugzeugen zu verbessern. Dies wird erreicht, indem Faserverbunde verwendet werden, die eine höhere Festigkeit und Steifigkeit bei geringerem Gewicht als Leichtbaumetalle bieten. Um den Treibstoffverbrauch künftiger Flugzeuge weiter zu verringern, können zudem Funktionen in die Struktur integriert werden, wie zum Beispiel die Absaugung von Luft an umströmten Flächen für die Reduktion des aerodynamischen Widerstands. Andere Beispiele sind die Integration elektrischer Leiterbahnen in die Struktur oder von Energiespeichern oder von Systemen, die die Struktur überwachen. Wichtig ist auch die Entwicklung fortschrittlicher Fertigungsverfahren, um Strukturen dieser Komplexität und Sicherheitsanforderungen wirtschaftlich herstellen zu können.

Tabellarische Übersicht möglichere künftige Energieträger
volumetrische und gravimetrische Energiedichten verschiederen Energieträger

Ausgehend von der Darstellung der Auswirkungen des Luftverkehrs auf unser Klima diskutierte Prof. Wiedemann verschiedene Treibstoffe (u.a. auch Wasserstoff) für die Luftfahrt hinsichtlich der volumetrischen und gravimetrischen Energiedichte und deren konstruktiven Implikationen bei möglichen Einsätzen. Die Möglichkeiten zur Energieeinsparungen bei Verkehrsflugzeugen gegenüber dem Stand der Technik bezifferte er „größer 50%“. Wesentliche Determinanten dafür sind Widerstands- und Gewichtsreduktionen, Verbesserungen der Triebwerkseffizienz, systemische Steuerungs- und Regelungsansätze z.B. zur Böenlastreduktion sowie Änderungen von Konfigurationen. Sein äußerst praxisnah gehaltener Vortrag brachte beeindruckende Beispiele aus dem Systemleichtbau mit Integration aktiver Funktionen; genannt seien an dieser Stelle strukturelle Konstruktionen zur hybriden Laminarhaltung am A350 Höhenleitwerk, Erreichung wichtiger Formvariabilität in Form von Hinterkantenabsenkungen an Flügelklappen und Winglets mit strukturkonformer Aktuierung, Schwingungsreduktion bis über 80% mittels Piezo-Stapelaktuatoren in Fachwerkstrukturen oder automatisches Erkennen von Ablösungen von Schichten in Werkstoffverbünden (Delamination in Faserverbundwerkstoffen) und bedeutende Erfolge durch Anwendungen von strukturintegrierten Batterien bei fast ähnlicher mechanischer Belastbarkeit wie bei konventionellen Strukturen.

Wieviel Energie spart eine Gewichtsreduktion von einer Tonne für ein Mittelstreckenflugzeug? Tabelle mit technischen Daten zur Einsparung
Wieviel Energie spart eine Gewichtsreduktion von einer Tonne für ein Mittelstreckenflugzeug?

Prof. Dr.-Ing. Martin Wiedemann leitet das DLR-Institut für Systemleichtbau (bis Ende 2022 Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik) und ist Professor für Adaptronik an der TU Braunschweig. Er verbindet seine Erfahrungen aus 15 Jahren in der Luftfahrtindustrie mit den Möglichkeiten der Forschung auf dem Gebiet des Systemleichtbaus, einer gemeinsamen Disziplin des Faserverbundleichtbaus und der Adaptronik. Martin Wiedemann ist zudem Vorstandsmitglied im Exzellenzcluster „Sustainable and Energy Efficient Aviation – SE²A” der TU Braunschweig und im Forschungsverbund Windenergie von FhG-IWES, ForWind und DLR. Er ist Co-Leiter der DLR Allianz für Leichtbauproduktionstechnologien und Mitglied im Lenkungskreis CFK-Rumpf Deutschland, einer Kooperation des DLR mit Airbus und Premium Aerotec.

Für die Autoren dieses Beitrags war es faszinierend zu erfahren, wie es dem Referenten gelang, in knapp 60 Minuten mit dem geballten Wissen des Strukturleichtbaues die knapp über 100 Zuhörer über den gesamten Zeitraum zu begeistern und eine durch Wissensdurst geprägte Fragerunde zu entfachen. Um noch mit einem extra Sahnehäubchen zu glänzen: Das dem Vortrag weitgehend entsprechende >>essential<< aus dem Hause Springer LINK kann kostenfrei als Open Access in den Dateiformaten PDF oder EPUB heruntergeladen werden:

Book Open Aaccess: Systemleichtbau für die Luftfahrt (Springer).

Dazu empfiehlt er den Blick in die tiefgründige Schatzkiste der jährlichen Innovationsberichte seines Instituts seit sage und schreibe 2004:

Innovationsberichte des Instituts für Systemleichtbau (DLR)

Alles im allen: Ein würdiger und spannender Auftakt mit dem Blick des Ingenieurs auf die Chancen der kommenden Dekaden.

Vielen Dank Martin Wiedemann, vielen Dank Springer!

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