„Klimaretter müssen Verfahrenstechnik studieren”

Hamann-Steinmeier sitzt vor Ihrem Schreibtisch und erläutert.
„Die Schulausbildung ist leider manchmal nicht mehr so, dass die Absolventen studierfähig sind”, sagt Hamann-Steinmeier.

Angela Hamann-Steinmeier ist Professorin an der Fakultät Ingenieurswissenschaften und Informatik für Bioverfahrenstechnik im Studiengang Energie-, Umwelt und Verfahrenstechnik an der Hochschule Osnabrück und seit Januar neue Bezirksvereinsvorsitzende in Osnabrück-Emsland. Ingenieurregion.de befragte sie zu ihren Plänen. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg und das Engagement von Fridays for future imponieren ihr. Proteste wie das Festkleben hält sie aber für undemokratisch. Für den Schülerwettbewerb „Explore your MINT” von ingenieurregion.de hat sie Tipps parat.

Wir sind zurzeit dabei, das 100-jährige Bestehen des Bezirksvereins am 24. bis 26. Mai im nächsten Jahr zu organisieren. Der neue Vorstand ist sehr aktiv und bringt neue Ideen in die Vereinsarbeit rein. Wir wollen unser Jubiläum in Lingen mit einer Technikmesse auf über 7000 Quadratmetern in der Emsland-Arena und mit Vorträgen und Workshops am Campus Lingen feiern. Da sprechen wir jetzt zuerst mehrere Firmen an, die seit Jahrzehnten Fördermitglieder des VDI sind wie die Amazone-Werke, Felix Schoeller GmbH, Höcker Polytechnik an, um sie als Aussteller zu gewinnen. Ein Eventmanager geht gerade auf Schulen zu, die sich über einen Wettbewerb mit technischen Projekten beteiligen können, wofür es vom VDI auch Förderungen gibt. Einen Technikball wollen wir ebenfalls veranstalten und dazu Vertreter der Politik und des öffentlichen Lebens einladen.

Seit 2012 leite ich schon den VDIni-Club in Osnabrück. Ulrike Starmann als Mitorganisatorin unterstützt mich dabei. Wir versuchen jeden Monat zwei Events anzubieten. Bei den Kursen für Vier- bis Siebenjährige dürfen auch die Eltern dabei sein. Im Dezember und Januar sind beispielsweise Robotikkurse für acht- bis zwölfjährige Schülerinnen und Schüler gelaufen. Die haben sehr gut mitgemacht und viel Spaß gehabt, Roboter zu bauen und zu programmieren. Für die Schulen und Kindergärten müsste es mehr Technikangebote geben, um für den Ingenieurberuf zu werben – aber zeitlich ist das ganz schwer für uns. Wir haben jetzt zwei junge Studentin-nen aus dem Studiengang EUVT gewonnen, die wir über eine Gruppen-leiterpauschale bezahlen. Die betreuen die VDIni-Kinder und arbeiten neue Angebote aus. Außerdem bieten wir eine Herbstakademie für Schülerinnen und Schüler von der Hochschule aus an und beteiligen uns im April am Zukunftstag. Ich persönlich mache auch VDIni-Veranstaltungen hier an der Hochschule und motiviere Kollegen dazu, selbst Nachmittage mit Pro-gramm anzubieten – beispielsweise im Hochspannungslabor Blitze zu erzeugen. Im Industriekulturmuseum in Osnabrück und speziell im Haseschacht – hier wurde früher Anthrazitkohle gefördert – bieten wir im VDIni-Club Exkursionen und Kurse an.

Seit 2018 haben wir hier den reakkreditierten Studien-gang Energie-, Umwelt- und Verfahrenstechnik, für den ich die Studiengang-Sprecherin bin. Da haben wir eine Studierendengruppe, in der ich auch Mitgliederwerbung betreibe. Im Winter machen wir ein VDI-Glühgrillen – und im Mai ein VDI-Grillen. Zweimal im Jahr gibt es Extratreffen – da besuchen wir die private Brauerei Rampendahl. Der Arbeitskreis Verfahrenstechnik organisiert mit seinen Studierenden Ende Oktober eine fakultätsübergreifende Projektwoche der Hochschule mit Exkursionen zu interessanten Firmen.

Hamann-Steinmeier am Rechner
„Im Winter machen wir ein VDI-Glühgrillen für Studierende.”

 

Wenn man an den Einsatz nachhaltiger Energien wie Wind- und Wasserkraft sowie Photovoltaik und Bio- oder Solarenergie denkt, dann sind das alles anzuwendende Verfahren, die dahinterstecken. Bei der Bioenergie sind es zum Beispiel Mikroorganismen, die das Biogas produzieren. Für die müssen bestimmte Apparate wie Reaktoren und Fermenter gebaut werden, um die Umgebung zu generieren, in der diese Organismen wachsen können. Das ist auch klassische Verfahrenstechnik, die dahintersteht.

Ob das jetzt im Einzelfall Maschinenbau-, Elektro- oder Verfahrenstechnik-Ingenieure oder Ingenieurinnen sind: Die Grundlagen haben alle gelernt und können darauf aufbauen.

Wenn wir das Weltklima retten wollen, muss es eine Abkehr von den fossilen Energieträgern geben. Selbst Carbon-Capture, diese Art der CO2-Speicherung – auch das ist Verfahrenstechnik. Wenn wir es schaffen, Deutschland auf erneuerbare Energien umzustellen, können wir auch Vorreiter für alle anderen Länder sein. Wir müssen den jungen Leuten sagen: Ihr wollt das Klima retten? Dann müsst ihr Verfahrenstechnik studieren.

Durch die Demos von Fridays for future ist das Thema endlich öffentlich geworden. Ich finde, Greta Thunberg hat das gut angeschoben und den Fokus auf die drohende Erderwärmung klug gewählt. Durch ihr Alter von 16 Jahren und ihre direkte Art hat sie auch perfekt die junge Generation angesprochen. In der Folge musste sich die Politik bewegen. Aber die jetzige Art des Protests ist nicht zielführend. Wer sich irgendwo festklebt, nutzt keine demokratischen Mittel mehr. Thunberg versucht es für sich in ihrem Leben einzuhalten, dass sie beispielsweise nicht fliegt. Auch mit ihrer Rede auf dem UN-Klimagipfel hat sie etwas in Gang gebracht. Das muss man ihr hoch anrechnen. Wenn es darum geht, wie man diese Probleme technisch lösen kann, muss man Ingenieure und Ingenieurinnen mit ins Boot holen.

Das sind in 2022 noch mehr geworden. Ich kenne die Zahl 8 Prozent weniger Studierende bundesweit in Bezug auf die MINT-Fächer. Das hat aber auch etwas mit Corona zu tun, weil die Studierenden in der Zeit im Hotel Mutti geblieben sind oder so kein Studium beginnen wollten. Durch die demografische Entwicklung gibt es immer weniger junge Leute. Zum anderen haben immer mehr aus finanziellen Gründen Angst zu studieren. Bei den dualen Studiengängen geht das, weil da parallel zum Studium verdient wird. Auch im Handwerk gibt es attraktive Berufe. Wir sehen auch Studierende, die Ingenieur werden wollen, aber einfache mathematische Grundlagen nicht sicher beherrschen. Die Ausbildung an den Schulen ist leider manchmal nicht mehr so, dass die Absolventen tatsächlich studierfähig sind.

Preise für die Klassenkasse, Klassenfahrten oder Laptops wären gut als Motivation für die Schülerinnen und Schüler. Nachhaltige Projekte fände ich schön. Die Lehrenden müssen das fördern. Für den Wettbewerb sollte man die Schulen und Physik-, Bio-, Chemie- und Mathe-Lehrer und Lehrerinnen ansprechen. Ich würde mich auch an die technischen Gymnasien und Fachoberschulen wenden. Will man unterschiedliche Altersstufen dabeihaben, sollte man für jede eigene Fragestellungen entwickeln und Preise ausloben. Unabhängig davon könnte man zum Start des Wettbewerbs T-Shirts verteilen, auf denen vorne VDI und hinten „Explore your MINT“ steht, um das Zugehörigkeitsgefühl und die Identifikation mit dem Wettbewerb zu stärken. Man könnte auch ein allgemeines Thema wie Recycling vorgeben. Und Fragen stellen: Macht euch dazu Gedanken. Entwickelt Konzepte zur Plastikvermeidung. Wie soll deine Stadt morgen aussehen? Der VDI würde so sein Image deutlich verbessern.

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