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Eine Weltidee

FUSE

Weltidee FUSE: Capt’n Kirk und seine Mannschaft revolutionieren die Messtechnik

Wie entsteht eine Weltidee? Etwas, das es vorher noch nicht gegeben hat und das einen durchschlagenden Erfolg verspricht? Dazu muss man bei FUSE, einem gerade am Institut für Grundlagen der Elektrotechnik und Messtechnik der Leibniz Universität Hannover zur Marktreife gelangenden Strommessgerät für die schnelle Analyse kleinster elektrischer Ströme, etwas ausholen. Vier Ingenieure haben dort eine sensationelle Lösung gefunden und entwickeln sie gerade zur Serienreife. Doch der Reihe nach: Alles begann 2019 mit einem Kooperationspartner, der Gaschromatographen baut – Messgeräte für die analytische Chemie: die Firma HyperChrom. Die Einsätze sind vielfältig: Rückstände in Gewässern untersuchen, Bodenproben auf Pestizide, Qualitätskontrollen in Raffinerien oder in der Medikamentenherstellung durchführen und die Spurensuche bei der Polizei unterstützen. Nur einige Anwendungsmöglichkeiten, bei denen Gaschromatographen Proben unter die Lupe nehmen. Beim Detektieren der Stoffe hilft oft ein Flammenionisationsdetektor. Dieser ionisiert die Moleküle mit Hilfe einer kleinen Wasserstoffflamme. Die gebildeten Ionen erzeugen einen winzigen elektrischen Strom, den ein entsprechendes Strommessgerät erfassen und anzeigen muss. 

Dann passierte es: Die Chemiker und Physiker von HyperChrom bauten einen Gaschromatographen, der bis zu 40mal schneller ist, als der heutige Stand der Technik – extrem interessant für alle Labore, mit denen das Unternehmen kollaboriert. Das Problem: Dieses Gerät erzeugt auch 40mal kürzere Strompulse – und das bei noch geringeren Probenmengen.  

Ansgar T. Kirk, Cornelius Wendt, Alexander Bohnhorst und Konstantin Krüger (v.l.)
Ansgar T. Kirk, Cornelius Wendt, Alexander Bohnhorst und Konstantin Krüger (v.l.) diskutieren eine Fragestellung am Rechner. Foto: Harald Langguth

„Die Frage an uns lautete dann: Könnt ihr diese viel kürzeren Strompulse messen? Und das, ohne in anderen wichtigen Eigenschaften schlechter zu werden“, berichtet Ansgar T. Kirk (34), Dr.-Ing. für Elektrotechnik am Institut für Grundlagen der Elektrotechnik und Messtechnik der Leibniz Universität Hannover. Er und sein dreiköpfiges Team setzten sich hin und dachten über Lösungen dazu nach. Daraus wurde das Masterarbeitsthema von Cornelius Wendt (30) – Master of Science (M.Sc.) in Mechatronik. „Wir haben eine Lösung gefunden und zum Patent angemeldet – so ist FUSE entstanden“, berichtet Kirk.  Femptoampere bis Mikroampere schnell erfassen – dafür steht FUSE.

Mit diesem Strommessgerät zur schnellen Analyse kleinster elektrischer Ströme will FUSE den Markt revolutionieren. Damit das auch klappt, erhalten die vier Ingenieure seit Mai dieses Jahres bis zur angepeilten Serienreife im Oktober 2022 EXIST-Fördermittel von mehr als 720.000 Euro, um ein Produkt zu entwickeln und unternehmerische Fähigkeiten zu erlangen. Das Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie wird durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) mitfinanziert. Zum Team gehören noch Alexander Bohnhorst (32, M.Sc. Nanotechnologie) und Konstantin Krüger (24, M.Sc. Wirtschaftsingenieur). Das Ingenieur-Quartett nutzt für FUSE Büros und Labore am Institut für Grundlagen der Elektrotechnik und Messtechnik an der Leibniz Universität. Das Projekt ist auch eine gemeinsame Success-Story mit „starting business“, dem Gründungsservice der Wirtschaftsförderungsgesellschaft hannoverimpuls und der Leibniz Universität Hannover. „starting business“ begleitet die Antragstellung und Projektadministration.

„Wir haben also das Pferd von hinten aufgezäumt. Erst einen interessierten Kunden mit einem Problem gehabt und danach die Produktentwicklung begonnen“, erzählt Kirk. Meist agieren Startups genau andersherum. Marktgerechter agiert das Team um Capt’n Kirk, der sich seiner Namensgleichheit mit dem Kommandanten der fiktionalen Filmserie „Raumschiff Enterprise“ durchaus bewusst ist und immer noch darüber schmunzeln kann. Der erste FUSE-Demonstrator ist bereits bei HyperChrom im Laboreinsatz – um zu zeigen, dass die Technik wirklich funktioniert. „Es ist aber noch kein Prototyp – die Bezeichnung des letzten Gerätes vor der Serienreife. Soweit sind wir aktuell noch nicht“, schränkt Kirk ein. Wichtige Impulse zum FUSE-Projekt gibt dem Ingenieur-Quartett auch sein Mentor: Professor Stefan Zimmermann, Leiter des Instituts für Grundlagen der Elektrotechnik und Messtechnik. 

Seinen Einsatz soll FUSE überall in der Messtechnik finden – ganz gleich, welche physikalische oder chemische Größe vom Sensor in elektrische Signale umgewandelt wird.  Eine entsprechende Erfassung ist im Anschluss immer notwendig. Weitere Anwendungsgebiete neben der Gaschromatographie sind Radioaktivitäts-Monitoring, Umweltanalytik, elektrische Messtechnik oder DNA-Sequenzierung. Konkret vorstellbar ist der FUSE-Einsatz auch bei Sicherheitskontrollen am Flughafen zur Aufspürung kleinster Rauschgiftmengen, bei Schadstoffuntersuchungen von Boden und Gewässern – bis hin zur Glyphosat-Analyse von Bier. Überall dort ist durch das genutzte Messprinzip das Messen kleinster Ströme ein wichtiger Bestandteil der chemischen oder physikalischen Analyse.

„Normalerweise benötigt ein Gaschromatograph für solche Schadstoff-Messungen eine halbe Stunde. Die deutlich schnelleren Geräte von HyperChrom schaffen das in weniger als einer Minute. Aber erst mit FUSE können die dabei entstehenden Ströme überhaupt gemessen werden“, benennt Cornelius Wendt die herausragende Innovation. Eine unglaubliche Zeitersparnis. „Ohne ein solches Strommessgerät kann man einen Gaschromatographen nicht so schnell mit einem Flammeninonisationsdetektor betreiben“, bekräftigt Ansgar T. Kirk. In den Laboren – alles klimatisierte Räume –  stehen bänkeweise Gaschromatograph an Gaschromatograph und laufen 24 Stunden am Stück. Leute im Schichtbetrieb füllen die Proben wieder auf. „Da ist jede Zeitersparnis bares Geld“, weiß Kirk. Dank FUSE werden so die Trinkwasser- oder Badequalität von Gewässern im Handumdrehen gemessen und festgestellt.

Auch die elektrischen Ströme von aus dem Schlafzustand erwachenden Prozessoren –beispielsweise bei Internet-of-Things-Anwendungen – können von FUSE gemessen und so überprüft werden. „Das Besondere bei allen diesen Aufgaben ist, dass der Strom sprunghaft um Größenordnungen ansteigt – und dann genauso schnell wieder abfällt“, erklärt Cornelius Wendt. FUSE ist ein Strommessgerät, das diesem Dynamikbereich aus kleinen und großen Strömen oder Konzentrationen locker folgen kann – und das bei einem sehr geringen Grundrauschen. Damit entfällt jede Umschaltproblematik zwischen Messbereichen, mit der sich die bisherigen Gerätehersteller herumärgern.

„Wir sind heute schon schneller als die  weltweiten Marktführer für elektrische Messtechnik. Die müssen zwischen kleinen und großen Strömen umschalten und können daher schnelle Änderungen über so weite Bereiche nicht erfassen“, sagt Ansgar T. Kirk. Für Ende 2022 ist die Serienreife geplant. Wird die Welt durch FUSE besser? „Das ist eine schwere Frage – denn unser Strommessgerät ist ja nur eine abstrakte Verbesserung. Immerhin wird die Welt durch FUSE schneller messbar.“

Fuse-Demonstrator
Ein Demonstrator des Strommessgerätes, mit dem das neuartige Prinzip bereits erfolgreich angewendet wurde. Foto: Konstantin Krüger
Türschild von Capt'n T. Kirk Institut für Elektrotechnik und Messtechnik
Hier steht es schwarz auf weiß an der Bürotür: Capt’n Kirk führt das Team an. Foto: Harald Langguth

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